Eine Hymne auf das Hymen

Das Hymen ist den meisten wohl besser bekannt als Jungfernhäutchen. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass es sich beim Hymen um eine Membran handelt, die bei der ersten vaginalen Penetration – quasi wie ein Hygienesiegel – durchbrochen wird.
Hierbei handelt es sich allerdings um ein großes Missverständnis.

In Wirklichkeit ist das Hymen ein Schleimhautsaum, den man sich wie einen dehnbaren Kranz um die Vaginalöffnung vorstellen kann. Dieser Kranz wird beim „ersten Mal“ jedoch nicht zerstört, weshalb alle Menschen mit Vagina auch ein „Jungfernhäutchen“ haben, egal wie häufig sie schon Sex hatten.

Wie sieht das Hymen aus?

Grundsätzlich ist die Form, Farbe und die Größe des Hymens so individuell wie die von Ohrläppchen oder Vulvalippen. Es lassen sich allerdings wiederkehrende Merkmale feststellen. Da das Hymen aus dünnen Schleimhautfalten besteht, ergeben sich je nachdem wie fest oder locker diese gefaltet sind verschiedene „Muster“. Je dicker der Schleimhautsaum ist, desto weißlicher wird sein Aussehen.
Sollten die Öffnungen im Hymen zu klein sein oder gar komplett fehlen, müssen sie mit medizinischer Hilfe vergrößert bzw. geöffnet werden, damit Periodenblut und andere Sekrete abfließen können.
FunFact: Ein vollständig verschlossenes Hymen entspricht zwar dem gängigen (Miss)Verständnis des Begriffs „Jungfernhäutchen“, kommt allerdings nur sehr selten vor, nämlich in etwa 0,02 -0,00625 % aller Fälle.

Wo liegt das Hymen?

Anatomisch gesehen liegt das Hymen etwa 1-2 cm direkt innerhalb der Vaginalöffnung. Allerdings lässt sich am Hymen nicht ablesen, ob eine Person schon einmal penetriert wurde oder nicht. Der Schleimhautkranz ist so dehnbar, dass es zu keinen Veränderungen beim Einführen von Tampons, Vibratoren oder Penissen kommt. Einzig durch die vaginale Entbindung eines Kindes verändert sich die Form des Hymens.

Blutflecken auf dem Bettlaken?

In vielen Kulturkreisen gilt Blut auf dem Bettlaken als Beweis für Jungfräulichkeit, da das Jungfernhäutchen angeblich (!!) mit der erfolgreichen ersten Penetration durch den Ehemann zerstört wird (das geht ja gut los!).
Die überwiegende Mehrheit der Menschen mit Vagina blutet beim ersten Geschlechtsverkehr allerdings nicht.
Blutungen kommen beim „ersten Mal“ zwar vor, aber meist nicht durch das „Reißen des Jungfernhäutchens“, sondern vielmehr durch Risse der Vaginalwand, die durch zu wenig natürliche Lubrikation/Sekret verletzt wird.
FunFact: Sollte das Hymen tatsächlich einmal einreißen, heilt es relativ schnell von selbst wieder.

Hymenrekonstruktion. Was bitte?

Wie bereits erwähnt, kommt dem Jungfernhäutchen in vielen Kulturen weltweit viel Bedeutung zu. Auch wenn es faktisch nicht möglich ist, über das Hymen zu bestimmen, ob jemand bereits Geschlechtsverkehr hatte oder nicht, ist es ein Ausschlaggeber für Jungfräulichkeit und damit auch für Reinheit und Unschuld. Viele Frauen, die vor der Ehe bereits „gesündigt“ haben, fürchten um ihr Ansehen und ihre Ehre und unterziehen sich einer Hymenrekonstruktion. Dieser Eingriff soll das Jungfernhäutchen wiederherstellen. Aus medizinischer Sicht ist ein solcher Eingriff allerdings sinnlos, denn wie bereits erwähnt, wird das Hymen beim Sex nicht zerstört. Hinter diesem Eingriff steht die Hoffnung auf die gewünschte Blutung in der Hochzeitsnacht. Eine Garantie, dass diese auch eintritt gibt es allerdings nicht. Mit einer solchen Hymenrekonstruktion wird ein medizinisch nicht notwendiger Eingriff vorgenommen, der im schlechtesten Fall mit starken Nebenwirkungen für die Frau endet, jedoch immer mit einer klingelnden Kasse für die durchführenden Ärzt:innen (wobei es natürlich nicht nur schwarze Schafe gibt).

Wie so oft ließe sich auch beim Thema Jungfräulichkeit mit Aufklärung viel Leid ersparen. Denn dieses Konstrukt der unbefleckten Jungfrau ist ebenfalls ein Auswurf patriarchaler Strukturen, auf den sich locker verzichten lässt.
Und dort, wo noch so unermüdlich stark an kulturellen Strukturen festgehalten wird, dass kein Durchdringen ist, empfiehlt es sich, lieber mit Kunstblut zu arbeiten als sich waghalsigen, nicht notwendigen medizinischen Eingriffen zu unterziehen.

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